Lyrik aus Haiti (weiden)

fugo diethelm

Kategorie: Schlaflos Seite 1 von 3

Abort

Vielleicht
Hast du von draussen geträumt
Dir das Leben ausgemalt
Bunt und voll
Und mit den Füssen Landschaft gezeichnet

Vielleicht
Hast du gut zugehört
Musik oder Liebesschwüre
Harmonisch und sanft
Und die Finger klopften den Takt

Vielleicht
Hast du an die Welt geglaubt
An Frieden für alle
Gerecht und recht
Und dein Herz schlug dabei weich und sanft

Vielleicht
Hast du geglaubt uns zu erlösen
Und uns unsere Schulden zu vergeben
Riesengross und schwer
Und da war’s zu spät

Vielleicht
 

Hunger

Unsere Liebe
Ist älter geworden
Wie die Haut
Ergraut

Ängste
Sind gewachsen
Haben Mauern gebaut
Schwarz wie die Nacht

Aber
Sie verkaufen uns
Zuckerstengel
In jeder Farbe

Du
Liebst da und glaubst
Dass ich mich von deinem Schweigen
Ernähren könnte

Unsere
Leeren Körper geben aber keine Nahrung her
Blasse Stellen
Wo früher die Liebe blühte

Hunger

Ernstfall

Eben tropfen die letzten Sonnenstrahlen
Auf die grünen Tomaten
Man riecht schon den Herbst
Kühe äsen auf halbschlafenden Wiesen
Eine Wespe fragt nach dem Datum
Und legt sich still zum Sterben
Die flachen Igel stören das Bild
der sonst so friedlichen Landstrasse
Das Gehen der letzten Schwalben
Wird wohl keinen erschrecken
Afrika
Werden sie pfeifen
Vielleicht das letzte Mal

Wir haben heute den Ernstfall geprobt
Mit Tausenden von Sirenen
Wir sind gut gerüstet
Oder

Einfach die Decke weit
Über den Kopf ziehen
Und
Endlos Liebe machen

Ein Abend am TV

Zwei Erschossene
Eine Vergewaltigte
Strangulation
Maschinengewehr
Eisenbahnunglück
Überschwemmung
Hungersnot
Flugzeugabsturz
Krieg

Auf jeden Kuss
Treffen mindestens fünfzig Tote
 

Einsamkeit

Das einst so prunkvolle Gewand
Deiner Illusionen
Bedeckt kaum mehr deine Knie
Der Docht deiner Hoffnung
Ersäuft im kalten Wachs deines Lebens
Die Gläser sind leer
Nur die Einsamkeit
Steht dir bis zum Hals
 

Auf die kalte Strasse

Dumpf und still
Die ganze Nacht dampft aus ihrer Höhle

Dumpf und still
Der Nebel mischt sein Grau dazu

Dumpf und still
Die Laterne wankt im kalten Wind

Dumpf und still
Schatten kleben auf der Strasse

Dumpf und still
Meine eignen Schritte falsch gesetzt

Dumpf und still
Kein Fuss kann alleine gehen

Dumpf und still
Und ihr wollt, dass ich geh
 

Lodano

Gerne
Würde ich hier
Aus den tausend Steinen
Neue Häuser bauen
Tessinerdörfer

In Ehrfurcht der früheren Erbauer
Und angesichts meiner eigenen Steinbrüche
Bin ich versucht
Ruinen
Zu heiligen
 

Cevennes

Der Spaziergang
Meiner Seele
Durch Kastanienwälder
Seichte Wasserläufe
An Schafweiden vorbei

Im Hügelland
Auf und ab
Führt nicht wie gehofft
Auf Anhöhen mit Übersicht
Oder Aussicht nur

Es erscheint hinter
Jeder Kuppe
Alles noch viel fraglicher
Denn neue Kreuzungen
Verlangen nach Entscheidung

Nächtelang

Umschlang ich deine Lenden
Den kleinen Finger
Den ich dir gab
Haben deine acht Arme
Längst
Mir aus der Hand
Gerissen
 

Manchmal

Auf der Spitze
Der einsamen Palme
Denke ich mir
Jetzt müsste es möglich sein
Mich
Auf meine Insel zu setzen
Oder besser noch
Hinzulegen
Ganz breit und flach
Und
Lange und aus voller Brust
Mich sein

Seite 1 von 3

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén